Irseer Renaissance

Carolus-WappenWährend der Regierungszeit des Abtes Carolus Andreae (Karl Enders oder Endres, Abt von 1612 bis 1627) gab es ein intensives Musikleben in Irsee. Kenntnisse über seinen sonstigen Werde­gang sind in den Wirren der Zeiten unter­ge­gangen. Doch aus seinen Werken wissen wir, dass er ein begnadeter Komponist war. Zudem sammelte er Musikalien, welche die Basis für das Musik­leben des Konvents gebildet haben dürften. Sehr wahrscheinlich ist er Initiator eines 1612 entstandenen Orgel­neu­baus (wohl des Irseer Orgelmachers Daniel Hayl) für die Abteikirche.

OrgeltabulaturIn der Staatlichen Bibliothek Passau hat sich eine Orgeltabulatur von 1590 erhalten, die 1679 an das Jesuiten-Kolleg Passau gelangt sein muss. Die beiden ersten Titelzeilen geben Kunde davon, dass die Hand­schrift (in deutscher Orgeltabulatur, in der die Noten mit Buchstaben bezeichnet sind) zum Gebrauch des Bruders Carolus Andreae, Mönch zu Irsee geschaffen wurde. Die Frage, ob die Tabulatur für Frater Carolus (ad usum = zum Gebrauch) geschrieben wurde oder ob er sie selbst verfasst hat, bleibt zweifelhaft.

Sein Mitbruder, Pater Gregor Stemmele war in den späten 70er Jahren des 16. Jahrhunderts aus Peißen­berg nach Irsee gekommen und prägte dieses Musik­leben durch umfängliche kompositorische Tätigkeit bis zu seinem Tod im Jahr 1619. Von ihm sind überliefert: Eine Missa super „Si ignoras te“ (mit Proprium und den Gesängen für beide Vespern), 64 Falsi bordoni, ver­schiedene Magnificat-Antiphonen und Propriums-Kompositionen, ein Ave maris stella, mehrere eucharistische Motetten, die Motette Sunt hodie fratres auf Johannes den Täufer, das Totenoffizium Si enim credimus und der Vesperspalm In exitu Israel.

SolenniaErhalten geblieben sind in der Staats- und Stadt­bibliothek Augsburg zwei Chorbücher mit den Signaturen Tonkunst Schletterer 95 und 96. Vier andere Irseer Chorbücher (darunter ein mit Solennia betitelter Codex) müssen schon vorher in den Kunsthandel gelangt sein. Sie kamen über das Augsburger Anti­quariat Butsch durch Carl Proske (1794 bis 1861) in die ‚Proske‘sche Bibliothek‘ und von dort in die Bischöf­liche Zentralbibliothek Regensburg. Die prächtigen Bände tragen seit dem 19. Jahrhundert die Signaturen C 90 bis C 93 der Sammlung Proske.

Schreiber aller sechs Chorbücher ist der Benediktiner Johannes Seytz aus Kloster Irsee († 1619). Die Inhalts­verzeichnisse dieser Quellen haben eher globale Tendenz: Neben den Namen der Irseer Komponisten Carolus Andreae und Gregorius Stemmele erscheinen Namen von italienischen Komponisten bis hin zu solchen aus dem (protestantischen) Mittel- und Nord­deutschland. Irsee mag zwar in der „Provinz“ gelegen haben, aber über ein wohl weitverzweigtes Netzwerk scheint man eben nicht provinziell gewesen zu sein. Der Irseer Konventualen-Katalog von 1593 zählt 13 Mitglieder, wozu eine kleinere Anzahl von Sängerknaben gehört haben muss; zur Zeit des Abtes Carolus hat die Gemeinschaft fast den gleichen Umfang. Unwillkürlich drangt sich Bewunderung auf, wenn man sich die Hochwertig­keit der Irseer Kompositionen vor Augen halt und dabei auch an die Realisierungsmöglichkeiten vor Ort denkt.